Sie Werden Diese Bizarre Wahrheit Von Lebentisch Rechteckig Niemals Glauben
19.05.16 – Wenn es nicht schon Wachs wäre – in ihren Händen würde es dazu werden. Mit Geschick und liebevoller Hingabe macht die Künzellerin aus einfachen Kerzenrohlingen kleine, individuelle Kunstwerke zu den verschiedensten Anlässen: Hochzeit, Geburt, Taufe und – die Saison ist gerade vorüber – Kommunionkerzen. Wenn eine Spitze der rechteckigen Schmuckdecke auf dem Heilschen Wohnzimmertisch zurückgeklappt wird, ist das ein untrügliches Zeichen für den Rest der Familie: Dieser Platz ist jetzt reserviert für die Dame des Hauses und ihr wachsweiches Gewerbe. Daran haben sich die drei erwachsenen Söhne und Ehemann Norbert schon gewöhnt. Aus gutem Grund: Im Keller, wo man eine Kerzenwerkstatt eher vermuten würde, wird das Wachs zu kalt. Und im Sommer? „Kein Problem, da gehe ich eben schon mal um fünf oder sechs raus, damit ich das Material noch gut verarbeiten kann“, sagt 48-Jährige mit ansteckendem Lachen.

Auf einer einfachen Schaumstoffunterlage liegt der Kerzenrohling, ein weißer Block, zehn Zentimeter breit und mit ovalem Durchmesser. Das Hauptmotiv, zweifelsfrei als Hochzeitsthema zu identifizieren, ist schon appliziert. Es unterscheidet sich in nichts von der Vorlage, die der Kunde als Computerausdruck in Papier geliefert hat. „Die meisten suchen sich etwas im Internet heraus, oder aus Büchern und sonstigen Vorlagen“, sagt Anette Heil, während sie mit sicherer Hand und einem Skalpell die nur wenige Millimeter großen Ziffern für das Hochzeitsdatum auf die Kerze überträgt. Die Zahlen hat sie am Tag vorher schon selbst geformt. In der Tiefkühltruhe haben sie die richtige Arbeitstemperatur bekommen. Jetzt lassen sie sich gut verarbeiten. Die Null noch ein bisschen tiefer und die Sechs noch ein bisschen nach links – jetzt ist alles im Lot. Die Kerze nimmt immer mehr ihre geplante Gestalt an.

Eine Unmenge Kerzen sind auf diese Weise schon durch die Hände der Künstlerin gegangen und haben dabei die Verwandlung vom unscheinbaren weißen Rohling zum viel bewunderten Schmuckstück durchgemacht. Bis zu fünf Stunden kann da eine Hochzeitskerze schon in Anspruch nehmen. Kreative Arbeit, die Anette Heil Spaß macht. Seit Kindesbeinen. „Ich habe schon als Kind Kerzen hergestellt, Kerzenreste von überall her gesammelt.“ Nachschub an weißen Stummeln gab es hauptsächlich aus den Kirchen.
Den Anfang für ihr heutiges „Geschäftsfeld“ hat seinerzeit eine verzierte Kerze für die Oma zum Geburtstag gemacht, dann immer mal eine für einen besonderen Anlass, später auch schon mal fünf in der Woche. Mundpropaganda hat dazu beigetragen, den Kundenstamm immer mehr zu erweitern. Auch auf der jährlichen Hochzeitsmesse in Schloss Fasanerie hat sie sich potenziellen Kunden präsentiert. Seit 2009 hat sie ein Geschäft angemeldet, das mittlerweile auf den Namen ihres Mannes läuft. Sie hatte sich schon lange mit dem Gedanken an Selbständigkeit befasst. „Aber ich war mir nicht sicher“ , sagt sie im Rückblick. Dann hat sie einen Spruch auf einem Stein gelesen: “Lass es nicht zu, dass deine Ängste deinen Träumen im Wege stehen“. Bumm. Initialzündung! Und dann immer so weiter. Seit einigen Jahren sind noch die Kommunionkerzen dazugekommen. Die „Saison“ ist gerade erst beendet. „So an die 70 Kerzen waren es in diesem Jahr“ sagt sie und „da musste der Wohnzimmertisch das eine oder andere Mal noch ausgezogen werden.“

Neben ihrem Halbtagsjob als Arzthelferin bietet sie noch regelmäßig Wachs-Workshops vor allem für Kinder an. In ihrer Heimatpfarrei in Künzell ist sie Mitglied im Pfarrgemeinderat, hat auch dort schon als Katechetin gearbeitet. Und sie hat auch noch Zeit für weitere Hobbies: Sie näht – wäre gerne auch Maßschneiderin geworden, tanzt in einer Line-Dance-Formation.
Und als wäre das nicht schon zeitaufwändig genug ist sie alle drei Jahre maßgeblich beim Mundarttheater im Rhönklub-Zweigverein Künzell, dessen Vorsitzender ihr Ehemann Norbert ist, beteiligt: Alle drei Jahre gibt es ein neues Stück und sie übersetzt die Texte in Rhöner Dialekt, fungiert quasi als Souffleuse. Immer etwas los im Hause Heil. Das Wort Langeweile scheint im Wortschatz der Anette Heil nicht zu existieren. Eine Frau, die in ihrer Mitte ist, zufrieden mit ihrem Leben und Glauben. Beneidenswert. (Thomas Witzel )+++
Kontakt: https://die-wachswerkstatt.de/ wohnzimmertisch rechteckig